Meine 3 Wichtigsten Werte: Authentizität, Mitgefühl und Tiefe

Mit dem Thema Werte habe ich mich schon vor fast 10 Jahren intensiver auseinandergesetzt und von damals zumindest meinen ersten Wert noch beibehalten: Authentizität ist mir nach vielen Jahren People Pleasing und Anpassung, um ja nicht negativ aufzufallen, am allerwichtigsten. An die anderen kann ich mich nur dunkel erinnern, doch ich weiß, dass Freiheit damals bei mir ganz oben auf der Liste stand. Das lag vor allem daran, dass ich ein sehr unbefreites Leben geführt und mich oftmals wie in einem Gefängnis gefühlt habe. Meine inneren Freiheitskämpfer-Anteile kamen zu der Zeit immer wieder hervor und wollten, dass ich einfach meine Koffer und meinen Hund packe und aus diesem Leben fliehe. Das habe ich zwar nicht gemacht, aber schrittweise bin ich meinem Ziel doch immer näher gekommen und konnte einen belastenden Teil dieses Lebens gehen lassen.

Als ich den Abschnitt über den Wert Freiheit geschrieben habe, war ich aber sehr unzufrieden damit, weil es irgendwie platt und oberflächlich klang – so gar nicht mein Ding. Erst als ich den Abschnitt zu meinem zweiten Wert Mitgefühl überarbeitet und weitergeschrieben habe, hat sich mein dritter Wert wie automatisch daraus ergeben: Es ist die Tiefe, vor allem die emotionale Tiefe, die mein Leben und meine Arbeit so sehr prägt.

Klar ist mir vor allem geworden, dass all diese Werte mein privates Leben genauso prägen wie meine Arbeit. Und dass sie alle irgendwie ineinandergreifen. Ohne wirklich ehrlich mit sich selbst zu sein, ist keine Tiefe möglich, also braucht es Aspekte von Authentizität. Ohne emotionale Tiefe gibt es meist kein Selbstmitgefühl, denn das kommt durch Selbstkenntnis und Verständnis. Und Authentizität ohne Selbstmitgefühl ist zwar möglich, aber fühlt sich nicht gut an, sondern roh und verletzlich. Ohne Tiefe bleibt die Authentizität zu oberflächlich, um wahrhaftig echt zu sein. Also alles bedingt sich gegenseitig und baut aufeinander auf.

Mein Wert Nr. 1: Authentizität hat oberste Priorität

Authentisch zu sein bedeutet für mich in erster Linie zwei Dinge: 

1) radikal ehrlich mit mir selbst zu sein und

2) mich nach außen hin verletzlich zeigen zu können.

Authentizität ist Radikale Ehrlichkeit

Die radikale Ehrlichkeit mit mir selbst bedeutet für mich, dass ich mich nicht länger selbst verarsche. Bevor ich 2019 die Arbeit mit inneren Anteilen kennen und lieben gelernt habe, war das für mich Alltag. Nur dass ich das gar nicht wusste. Ich dachte, ich mache alles richtig. Teilweise dachte ich sogar, dass sei meine Intuition. Heute weiß ich: es war mein Controller. Das ist der Anteil, der uns selbst gerne etwas vormacht, um uns vor etwas zu schützen. Wahrheit tut manchmal weh, aber nur wenn man die Wahrheit sieht, kann man auch wirklich etwas verändern. Und zwar von innen heraus und nicht nur, indem ich im Außen immer wieder versuche Dinge zu verändern, die im Endeffekt nur schön aussehen, aber nicht wirklich zu Veränderungen im Innen führen.

Nur wenn ich radikal ehrlich mit mir selbst bin, kann ich überhaupt authentisch sein. Sonst trage ich im Endeffekt nur eine Maske. Das ist auf Dauer anstrengend und unbefriedigend. Und wenn ich mit mir selbst nicht ehrlich sein kann, wie soll ich dann ehrlich mit anderen sein können?

Authentizität ist Verletzlichkeit

Wenn ich mich dann authentisch zeige, macht mich das angreifbar und verletzlich. Vielleicht gefällt jemandem nicht, was ich denke oder wie ich mich ausdrücke, was für jede*n mit einem starken Love Seeker schwer auszuhalten ist. Ich könnte Ablehnung erfahren und Ablehnung tut viel mehr weh, wenn wir sie dafür bekommen, dass wir uns authentisch gezeigt haben. Das kann tiefe Glaubenssätze triggern: „Ich bin nicht gut so, wie ich bin. Natürlich werde ich abgelehnt, ich bin ja auch nicht kompetent genug, nicht professionell genug, nicht schön genug, nicht … genug.“

Ich will aber gar nicht sagen, dass authentisch sein bedeutet, dass man alles mit allen teilt. Für mich bedeutet es auch zu entscheiden, was ich zu welchem Zeitpunkt mit der Welt oder spezifischen Personen teilen möchte. Verletzlichkeit setzt Vertrauen voraus und das muss man sich erstmal verdienen. Und es bedeutet auch, dass ich die rohen, noch unverarbeiteten Teile meiner Verletzlichkeit nicht mit der Welt teile, bevor ich die innere Arbeit gemacht habe, damit okay zu sein. Das heißt bei mir, dass ich zuerst davon schreibe, also Journaling mache.

Der schwierigste Aspekt daran ist für mich in meinem Online-Auftritt und auch gegenüber meinen Klientinnen zu zeigen, dass auch ich noch struggle und meine Themen habe. Manchmal will mein Controller mir einreden, dass das unprofessionell sei. Ich selbst glaube aber eher, dass das menschlich ist. Ich habe noch Themen und unaufgearbeitete Traumata und Real-Life-Probleme – klar, weil ich LEBEAber gerade weil ich so viele Themen habe, weiß ich auch, wie es sich anfühlt, stuck zu sein und nicht weiter zu wissen. Und auch wie ich da wieder rauskommen kann. Und genau deshalb kann ich auch diesen Raum für andere öffnen und halten.

Ich lebe also eher nach dem Motto „Ich struggle, also bin ich…“ („Strugglito ergo sum“ sozusagen. 😄)

Mein Wert Nr. 2: (Selbst-)Mitgefühl ist die Basis für alles

Dass ich das so offen sagen kann, wäre gar nicht möglich ohne meinen zweiten Wert: Das Mitgefühl bzw. Selbstmitgefühl. Selbstmitgefühl ist für mich der wichtigste Aspekt von Selbstliebe. Die meisten meiner Klientinnen – und eigentlich fast alle Frauen, die ich kenne – sind wahnsinnig streng mit sich selbst. Der „innere Kritiker“ (ich würde ihn „den Controller“ nennen) ist sehr stark und oftmals auf Perfektion angelegt. Bloß keinen Fehler machen und wenn, merkt es hoffentlich niemand. Für mich ist der größte Erfolg, den ich durch die Arbeit mit inneren Anteilen erzielt habe, dass ich mir selbst mehr erlaube, mich besser verstehe und auch mehr Mitgefühl mit meinen Reaktionen und Blockaden habe. Zwar immer noch nicht so viel, wie ich gerne hätte, aber am Ende ist das ja auch nur wieder die innere Kritikerin, die kritisiert, dass ich mich noch zu viel kritisiere. 😉

Unser Selbstmitgefühl beeinflusst auch, wie mitfühlend wir mit anderen sein können. Mitgefühl für meine Klientinnen, ihre Anteile und Prozesse sind für mich fundamental wichtig für meine Arbeit. Wenn ich sie dafür verurteilen würde, wenn sie Entscheidungen für sich treffen, die von außen betrachtet ihr Leid noch vergrößern, würden sie das auf irgendeiner Ebene spüren und könnten sich nicht mehr so offen äußern. Wenn ich ihre Controller dafür verurteile, dass sie sie vom Schreiben abhalten, fühlen sie sich am Ende unter Druck gesetzt und schreiben nur, um mich zufriedenzustellen, weil die People Pleaserin (bzw. der Love Seeker) in ihnen aktiviert wird. Das ist maximal unproduktiv und bringt weder mir noch ihnen was.

Das bedeutet natürlich nicht, dass es nicht auch mit Klientinnen Situationen gibt, die mich treffen oder triggern. Es bedeutet nur, dass auch ich dieselbe Arbeit tun muss, die ich ihnen regelmäßig als Hausaufgabe gebe: davon zu schreiben. Es ist meine Aufgabe, diese Gefühle nicht auf meine Klientinnen zu projizieren, sondern nach innen zu schauen, welcher Anteil sie auslöst und diese Anteile zu heilen. Je mehr ich mit meinen eigenen Anteilen Mitgefühl empfinden kann, umso leichter fällt es mir auch mit den Anteilen anderer. 

Meines Erachtens wäre die Welt ein viel besserer Ort, wenn wir alle mehr Mitgefühl miteinander und uns selbst haben. Und bei uns selbst können wir am leichtesten anfangen, z. B. indem wir unsere Anteile kennenlernen und sie immer und immer wieder zu Wort kommen lassen.

Mein Wert Nr. 3: In der Tiefe liegt die Kraft

Oberflächlichkeit habe ich schon immer gehasst. An sich ist an oberflächlichen Gesprächen nichts auszusetzen, man kann nicht immer nur deep talks haben und emotionale Schwergewichte angehen. Wir sind immerhin alle keine psychologischen Leistungssportler. Das ist auch weder nötig, noch erstrebenswert. Außerdem muss man ja auch erstmal Vertrauen zu Personen aufbauen. Das kann man nicht, indem man direkt bei jeder Person sein Innerstes öffnet und über seine diversen Traumata berichtet. 

Trotzdem gibt es Menschen, mit denen ist etwas anderes als Oberflächlichkeit gar nicht möglich. Früher habe ich solche Menschen ziemlich hart verurteilt. Inzwischen sehe ich das etwas anders. Ich weiß, dass der Grund, warum sie das tun, ein starker Controller ist. Und der entsteht nicht mal eben so, sondern es gibt gute Gründe, warum sich ein so starker Beschützer-Anteil ausbildet (Tipp: Wenn du mehr darüber erfahren willst, kannst du dir hier meinen Guide zu den Inneren Anteilen herunterladen.).

Doch eine der wichtigsten Lektionen, die ich den letzten Jahren durch die Arbeit mit inneren Anteilen gelernt habe, ist: Wir können mit anderen nur so tief gehen, wie wir bereit sind, mit uns selbst tief zu gehen. Das bedeutet: Wenn wir mit uns selbst nicht ehrlich sein und uns mit unseren tiefsten und unangenehmsten Emotionen beschäftigen, die fühlen und so verarbeiten können, dann können wir auch nicht für andere in ihren tiefsten Emotionen und Verarbeitungsprozessen da sein. Wir wollen die dann lieber schnell beenden, es fixen, wieder gute Laune machen. Wir wollen ihr Problem lösen, ihre Perspektive ändern oder ihnen sogar ausreden, dass sie ein Problem haben. Das ist sicherlich keine Absicht, aber es ist invalidierend und verletzend für die andere Person und ihre inneren Anteile.

Wenn wir nach meinem 2. Wert leben, nehmen wir uns das jedoch nicht übel. Stattdessen haben wir Mitgefühl für den Anteil in uns, dem es so schwer fällt, die Emotionen anderer auszuhalten, und versuchen mit ihm ins Gespräch zu kommen. So entsteht Tiefe nach innen. Wir nehmen nach und nach mit allen Anteilen in uns Kontakt auf, vor allem denen, die wir besonders stark verurteilen. Je größer unsere innere Tiefe und damit unsere Kapazität wird, unsere eigenen Emotionen zu halten, umso größer wird auch die Kapazität, mit anderen in die Tiefe zu gehen und ihre Emotionen zu halten, ohne sie verändern zu wollen. Das ist es auch, was ich in der Arbeit mit meinen Klientinnen erreichen will. 

Denn, wenn wir aufhören krampfhaft alles fixen zu wollen und es stattdessen einfach da sein lassen und neugierig und mitfühlend hinhören, worum es eigentlich geht – erst dann entsteht wahre Veränderung.

Alles Liebe,

Deine Nadine

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Hey, ich bin Nadine! Ich bin Psychologin und Psychologische Beraterin und begleite Frauen, die viel leisten, viel reflektieren und sich trotzdem oft kleinhalten, anpassen oder zurücknehmen, um nicht zu viel zu sein. Mit der Arbeit an inneren Anteilen und emotionalem Journaling helfe ich dir, diese Muster zu durchbrechen, Grenzen klar zu setzen und dir den Raum zu nehmen, den du schon lange verdienst.
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